Martin Zimmermann: Danse Macabre

Der ‘danse macabre’, oder, wie er auf Deutsch genannt wird, der Totentanz, findet seine Tradition schon im 14 Jhd. Die als Wandgemälde festgehaltenen Skelette, die tanzend und musizierend Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten aufsuchen, sollten die Allgegenwärtigkeit des Todes im Leben aller Menschen illustrieren. Dadurch, dass alle Menschen mit dem Tod konfrontiert werden, sollten sie einerseits allesamt frommer und überlegter handeln, andererseits werden hier Menschen jedes Standes auf eine gleichwertige, sterbliche Ebene gebracht. Alle sind vereint im Angesicht des Todes. Oder das war zumindest die Idee.

Schon jahrhundertelang ist der Totentanz als Motiv in der Kunst und Literatur anzutreffen, er war sogar auf der 1000-Franken Note der Schweiz von 1957 abgebildet! Und nun, zumindest dem Namen nach, war auch Martin Zimmermann inspiriert.

Das Stück beginnt mit Mister Skeleton (verkörpert von Martin Zimmermann selbst), der in einer Müllhalde sein Unwesen treibt. Ich möchte nicht gleich bei der ersten Szene mit einer Überinterpretation starten, doch muss ich doch rasch das Konzept des Abjekten einführen. Stark von der Psychoanalytikerin und Philosophin Julia Kristeva beeinflusst, verweist das Konzept auf Reaktionen auf Ekliges oder Abstossendes. Offene Wunden, Blut, Schleim, unangenehme Komponente des Essens (Kristeva verweist hier auf die Milchhaut, die beim Erhitzen von Milch entsteht), Leichen, der Tod; alles Dinge, auf die man zunächst abstossend, doch auch auf gewisse Weise fasziniert reagiert.[1] Als Subjekt möchte man sich von diesen Übeln distanzieren, man versucht, eine Grenze zwischen sich und diesem undefinierbaren Anderen zu ziehen. Doch das Problem ist, dass das Abjekte eben nicht von sich zu weisen ist, als immer wiederkehrende Milchhaut oder dann spätestens als Tod findet es immer zu uns zurück. Das Erschreckende am Abjekten ist also besonders dessen transgressiver Charakter, sodass egal, welche Grenzen ich ziehe, diese immer vom Abjekten überschritten werden können. Aber ich schweife ab.[2] Ich wollte zunächst nur auf das Wortspiel hinweisen, dass sich in der ersten Szene von Danse Macabre ergibt: Das Wort Abjekt ist nämlich mit dem Lateinischen ‘abicere’ verwandt, das so viel wie ‘wegwerfen’ bedeutet. Mister Skeleton befindet sich also auf der Bühne physisch in der Müllhalde wieder, genauso aber auch, als Tod verkörpert, er sich im Abjekten, also im Weggeworfenen befindet. Auch die drei weiteren Figuren, die kurz später die Bühne betreten, bewegen sich ihrer Verstossenheit bewusst in der Müllhalde umher. Der alte Säufer, der sich in seinen vollgerotzten und -schwitzten, kaputten Kleidern präsentiert; die Frau[3], die sich (impliziert nackt) in verschiedenen Verrenkungen den Abfall als Kleidung aneignet; der Mann (bzw. eine nicht weiter definierte Person, was an sich schon transgressiv ist), der mit Bart und in Frauenkleidern die Aufmerksamkeit des Publikums geniesst. Auch wenn kein Wort darüber fällt, kann man sich denken, was die drei auf die Verbannung auf die Müllhalde geführt hat. Verstossen und auf sich allein gestellt, beanspruchen die Charaktere mal zusammen, mal einzeln den Raum der Bühne für sich.

Es ist schwierig, mehr zu den Handlungen auf der Bühne zu sagen, als dass sie stattfinden. Auch wenn die Geschehnisse auf einen gemeinsamen Tanz zusammenlaufen, befinden sich die Figuren schon vorher in einem konstanten physischen Dialog. Immer wieder zieht eine die Aufmerksamkeit auf sich, doch auch die anderen sind in diesen Momenten nicht untätig, es herrscht reges Treiben auf der Bühne. Auch Mister Skeleton ist immer mit dabei, es ist unklar, was er sich von den Figuren erhofft, manchmal hat es den Anschein, er möchte einfach mit dabei sein. Als das Ganze in einem gemeinsamen Tanz kulminiert, muss man sich dem Gedanken stellen, ob sich die drei Randständigen wohl als sozial tot definieren lassen, und man somit eigentlich vier Skeletten beim Tanzen zuschaut.

Auch die Komik des Stücks ist schwierig zu definieren. Manchmal ist mit etwas unklar, ob nun mit den Figuren oder doch über sie gelacht wird. Was jedoch am ehesten Gelächter auslöst, sind die Handlungen, die die Grenze zwischen Bühne und Publikumsraum überschreiten. Mister Skeleton entlockt hier immer wieder einiges Gelächter, wenn er mit grossen Augen ins Publikum starrt und mit den Zähnen klappert. Am meisten wird jedoch auf den über den Bühnenrand in die Menge geworfenen Schuh reagiert. Hier wird nicht nur die physische Grenze zwischen Bühne und Publikumsraum gebrochen, sondern auch mit der Konvention, dass das Publikum unversehrt und getrennt von der Handlung verweilen darf. So wird man als Zuschauende gezwungen, sich aktiv dem vor ihren Augen Geschehenen zu stellen. Niemand erwartet, in einem Theater mit einem Schuh beworfen zu werden. Die offensichtliche Grenzüberschreitung löst neben Gelächter wohl auch ein wenig Unbehagen aus. Denn was ist nun meine Rolle im Publikum? Durch die Transgression wird der Raum, der zuvor klar unterteilbar war, geöffnet. Und auch wenn dieser Moment nur sehr kurz ist, bildet er doch den Reiz des Stücks. Denn vielleicht ist es auch mal schön, sich in einem fluiden Raum zu befinden, in dem die Grenzen eben nicht so stark geregelt sind wie sonst. In unserem Alltag sind die Rollen, die wir annehmen, oftmals fast formelhaft durchgetaktet: Beim Einkaufen bin ich die Kundin, mein Gegenüber der Verkäufer; bei der Arbeit bin ich der Angestellte, mein Gegenüber die Chefin, etc. In dem Moment, in dem sich die Rollen auflösen, in dem ich vom Zuschauer zur Beteiligten werde, weil mir ein Schuh, den es auf meiner Seite nicht geben dürfte, entgegenkommt, erschrecke ich. Die Ordnung wurde zerstört, ich werde mit etwas konfrontiert, dass nicht existieren dürfte. Doch bin ich auch plötzlich von meiner Rolle befreit und lache.



[1] Zeugnis für diese Faszination sind z.B. hier im deutschsprachigen Raum die extreme Beliebtheit von Kriminalromanen und -serien, die sich ja jeweils sehr genau mit dem Tod einer oder mehrerer Figuren auseinandersetzt.
[2] Für Interessierte empfiehlt sich Kristevas Text Powers of Horror. An Essay on Abjection (1982) (im Original Pouvoirs de l'horreur. Essai sur l'abjection (1980)).
[3] Über das Abjekte im Weiblichen empfiehlt sich Barbara Creeds Text «Horror and the Monstrous-Feminine: An Imaginary Abjection», erschienen 1986.

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