Schöne Neue Welt

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Reflexionen zu «Schöne Neue Welt»

«Schöne neue Welt», aufgeführt vom Thalia Theater Hamburg, konzentriert sich auf lediglich fünf Szenen des gleichnamigen Romans von Aldous Huxley. Zu dritt befassen sich die Schauspieler:innen Johannes Hegemann, Pauline Rénevier und Stefan Stern intensiv mit – ja, mit was eigentlich befasst sich das Stück? Überwachung, Freiheit, soziale Klasse, Macht, Performance und Unterdrückung sind Begriffe, die mir während des Stücks durch den Kopf gingen, doch nichts wurde für mich konkret greifbar. Erst die allerletzte Szene, welche zwei der Figuren zeigt, wie sie zunächst alles in Brand setzen und einen grossen Stecker ziehen, welcher die das ganze Stück lang flimmernden Bildschirme zum ersten Mal komplett auslöscht, hilft mir, das Stück etwas zu orten: Irgendwie wird hier über Digitalität, konkreter vielleicht Postdigitalität, nachgedacht. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie von einer Selbstverständlichkeit des Digitalen in unserem Alltagsleben ausgeht. Bildschirme an Bahnhöfen, in unseren Hosentaschen, auf der Theaterbühne sind inzwischen nichts Neues mehr, sondern gehören einfach dazu. Doch wie geht man damit um, und wer profitiert davon? In einer Szene, in der sich die drei Charaktere zu einem vorerst ruhigerem Gespräch einfinden, starren die unterstützenden Bildschirme auf der Bühne über den Bühnenrand ins Theater zurück: ein grosses Auge ist auf jedem Bildschirm abgebildet, das Publikum wird beobachtet. Was sehen diese Augen in den Bildschirmen wohl? Auch bei der allerersten Szene, in der eine Figur mit einem höchst persönlichen Fragebogen konfrontiert wird, muss ich rückblickend an die Google Kontoübersicht denken, welche offenbart, dass Google basierend auf den Aktivitäten der User:innen über ihr Alter, Geschlecht, Familienstand, Einkommen und persönliche Interessen spekuliert und die Daten hinterlegt und z.B. an Werbeanbieter verkauft. Man kann dort sogar schon ein «Plan für ein digitales Erbe» erstellen, um zu bestimmen, was mit diesen Daten passieren soll, sobald das eigene Konto ‘inaktiv’ ist (eine schöne Metapher). Ich möchte hier auch nicht gleich einen Aluhut aufsetzen, doch es ist schon ein wenig beunruhigend, wie hier mit persönlichen Angaben gehandelt wird, genauso wie im Stück die eigene Person durch Definitionen und Zahlenwerte greifbar oder gar kontrollierbar gemacht werden soll. «Schöne Neue Welt» scheint sich, wenn auch nur implizit, Gedanken über ebendiese Fragen zu machen, über den Wert von persönlichen Informationen, die Kategorisierung des Menschen, welche in der Inszenierung auch mit Struktur und Ordnung gleichgesetzt wird. Im Stück soll zwischen dem Leben in purer Ordnung oder absolutem Chaos entschieden werden, und es wird ebendiese Ordnung mit der Technologie, dem Digitalen, gleichgesetzt, wohingegen das Chaos mit Wildnis und der Natur assoziiert wird. Ist denn die Rückkehr in die Wildnis die Lösung des Problems? Darüber äussert sich «Schöne neue Welt» nicht klar. Einzig wird gezeigt, dass man ab und zu den grossen Stecker ziehen muss, um all den flimmernden Bildschirmen eine Weile entkommen zu können.

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